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Der Baum als Zuflucht für junge Herze

Bericht von
Sr. M. Tarsitia Koloch

Mission unter dem Baum

Der Abend mit den Schwestern im Refektorium in Wilhelmshorst versprach zunächst nichts Außergewöhnliches – abgesehen davon, dass wir Gäste erwarteten. Da ich zuvor einige Tage nicht zu Hause gewesen war, gab es viel zu erzählen. Eines der Themen war der tragische Unfall des 16-jährigen Tobi aus Wilhelmshorst. Die Schwestern berichteten mir, dass er mit dem Fahrrad ins Schleudern geraten und gegen einen Baum geprallt war – nicht weit von unserem Kloster entfernt.

Sie erzählten weiter, dass sich an diesem Ort viele Jugendliche versammeln, Freunde und Freundinnen, die Trost suchen und Gemeinschaft brauchen, um gemeinsam den Verlust eines geliebten Menschen zu verarbeiten.

Diese Geschichte ließ mir keine Ruhe, und ich beschloss, an diesen Ort zu gehen, um zu beten. Schon von weitem sah ich eine große Gruppe Jugendlicher, die sich um den Baum versammelt hatte. Der Platz war geschmückt mit Plakaten, Briefen, Fotos und einem Holzkreuz – ein stilles Zeugnis ihrer Trauer, obwohl viele dieser jungen Menschen bisher kaum Berührung mit dem Glauben hatten.

Als sie mich kommen sahen, riefen sie mir zu, ich solle näher treten. Einer der Anführer begrüßte mich herzlich und dankte mir, dass ich gekommen war. Er bat mich, für ihren verstorbenen Freund zu beten, legte seine Lederjacke auf den Boden und bat mich, mich darauf zu knien, damit mein Habit nicht verschmutzt werde.

Ich blieb stehen und betete mit einfachen Worten für die Seele von Tobi. Ich lud sie ein, gemeinsam das Kreuzzeichen zu machen – was sie gerne, wenn auch unbeholfen, annahmen. Der junge Mann sprach mit Tränen in der Stimme und bat mich, am nächsten Tag wiederzukommen, denn es war ein größeres Gedenken mit über 100 Jugendlichen geplant. Ich sagte zu.

Erst als ich zurück im Kloster war, wurde mir bewusst, wie bedeutend dieses Treffen war – und dass ich mich innerlich darauf vorbereiten musste.

Am nächsten Tag ging ich mit klopfendem Herzen und zitternden Knien erneut zu dem Baum. Als sie mich sahen, riefen sie: „Sie kommt, sie hat es versprochen!“ Die laute Musik verstummte. Alle rückten näher, um das Gebet zu hören.

Ich traf die Mutter des Verstorbenen, seine Brüder und viele Jugendliche, die verloren wirkten und sich fragten: „Wie kann das sein? Warum? Wie geht es weiter?“

Ich verteilte Rosenkränze und sprach mit ihnen über dieses wunderbare Gebet und unseren Glauben an die Fürsprache der Muttergottes – wohl wissend, dass viele es nicht verstehen würden.

Ich erklärte, dass ihr Leben einem Rosenkranz gleicht: jede Perle ein Mensch, verbunden in Gemeinschaft, gehalten durch Christus, der in der Mitte steht. Ich hatte 80 Rosenkränze dabei – keiner blieb übrig.

Nach dem Gebet und vielen Gesprächen versprach ich ihnen, dass wir als Gemeinschaft für sie beten und dass die Türen unseres Klosters für sie offenstehen.

Seitdem ist etwas Zeit vergangen. Unter dem Baum traf ich später noch fünf von ihnen – keine laute Musik, keine Zigaretten, sondern stille Entschlossenheit. Sie erzählten mir, dass sie beschlossen hätten, auf ihre Weise zu beten und auf Alkohol zu verzichten – ihre alkoholfreien Getränke waren der stille Beweis.

Tage später kam ein evangelisches Ehepaar zu unserem Gottesdienst am ersten Samstag des Monats. Sie waren damals in der Menge der Jugendlichen dabei gewesen und waren von der Stille und dem Gebet tief berührt.

Sie folgten der Einladung der Schwestern, mehr über das Gebet zur Muttergottes zu erfahren – sie hatten bereits danach gesucht und wollten es nun lernen.

Dieses Bedürfnis, jungen Menschen im Schmerz zu begegnen und sie zu begleiten, erwies sich als ein Fenster für das Wirken des Heiligen Geistes.

Ich frage mich, wie viel mehr Gott in uns wirken könnte, wenn wir mutiger wären, seine Gegenwart anzunehmen – und die Mission, die Er uns anvertraut hat, zu deuten und zu leben, damit Gott erkannt wird und der Mensch den Weg zurück zum Vater findet.

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